Für viele SEOs kommt die plötzliche Aufregung um barrierefreie Webseiten ein bisschen… verspätet. Wer sich in den letzten Jahren ernsthaft mit Google-Rankings beschäftigt hat, weiß: Barrierefreiheit war nie ein Add-on. Sie war immer Teil des großen Ganzen. Denn gute Suchmaschinenoptimierung ist nicht nur Keyword-Tetris – sie ist Qualitätskontrolle. Und die umfasst seit jeher: sauberen Code, starke Technik, klare Struktur – und eben: Zugänglichkeit für alle.
Insofern ist die aktuelle Dynamik rund um gesetzliche Vorgaben, neue Tools und Accessibility-Richtlinien für viele Online-Marketer und Tech-Teams vor allem eines: eine Bestätigung. Die Richtung stimmte. Wer früh auf UX, semantisches HTML, schnelle Ladezeiten und durchdachte Inhalte gesetzt hat, steht jetzt besser da als je zuvor. Barrierefreiheit ist kein neuer Trend – sie ist ein alter SEO-Grundsatz, der endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient.
Was bedeutet digitale Barrierefreiheit überhaupt?
Barrierefreiheit bedeutet, dass digitale Angebote – Websites, Apps, PDFs – für alle Menschen bedienbar sind. Auch für Menschen mit:
- Sehbehinderungen oder Blindheit
- motorischen Einschränkungen
- kognitiven Beeinträchtigungen
- Hörbehinderungen
- altersbedingten Einschränkungen
- …oder einfach einer schlechten Internetverbindung
Konkrete Anforderungen sind z. B.:
- Tastaturbedienbarkeit
- gut sichtbare Fokuszustände
- klare Kontraste
- semantisch korrektes HTML
- Alternativtexte für Bilder und Grafiken
- einfache Sprache oder verständliche Strukturen
- beschreibende Linktexte („Hier klicken“ war gestern)
Warum das plötzlich alle angeht – rechtlich, technisch, wirtschaftlich
Barrierefreiheit wird gesetzlich Pflicht – und zwar bald. Spätestens mit dem European Accessibility Act (EAA) wird es für viele Unternehmen ernst. Ab 28. Juni 2025 müssen u. a. Online-Shops, Banking-Portale, Reiseplattformen, eBooks und Ticketdienste barrierefrei sein – sonst drohen rechtliche Konsequenzen. Die Umsetzung orientiert sich an der internationalen Norm EN 301 549, die wiederum eng mit den WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) verzahnt ist.
Was das heißt: Unternehmen, die jetzt noch nicht damit begonnen haben, müssen 2024 aktiv werden, um nicht unter Zeitdruck zu geraten.
Google hat Accessibility längst als Qualitätsfaktor erkannt
Barrierefreiheit ist mittlerweile ein fester Bestandteil im Google-Ökosystem:
- Lighthouse-Tests bewerten Accessibility separat
- Core Web Vitals begünstigen barrierefreie Designs (z. B. durch klare Layouts, kurze Ladezeiten)
- Crawling & Indexing profitieren von semantischer Struktur und verständlichen Inhalten
- Nutzerverhalten (UX-Signale) wie Bounce Rate oder Dwell Time verbessern sich durch barrierearme Gestaltung
Oder kurz gesagt: Barrierefreiheit wirkt sich auf Sichtbarkeit aus – direkt und indirekt.
Unternehmen profitieren wirtschaftlich – und zwar konkret
Barrierefreiheit ist kein Charity-Projekt – es ist ein Business Case:
- 18 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Form von Behinderung
- Hinzu kommen Millionen Menschen mit temporären Einschränkungen oder altersbedingtem Bedarf
- Dazu: wachsende Bedeutung von Usability, mobile Nutzung, Multichannel-Verfügbarkeit
Wer seine Seite barrierefrei gestaltet, öffnet sich neuen Zielgruppen und reduziert Reibungsverluste im Verkaufsprozess. Und: Barrierefreiheit = bessere UX = höhere Conversion Rate.
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Wer früh dran war, hat heute den Vorteil – ein strategischer SEO-Vorsprung
Unternehmen, die in den letzten Jahren auf klare Strukturen, semantisches HTML, performante Ladezeiten, Mobile First und gute UX gesetzt haben, haben damit unbewusst viele Accessibility-Anforderungen erfüllt.
Das zahlt sich jetzt aus:
- Ihre Seiten ranken besser
- Ihre Inhalte sind robuster gegenüber Google-Updates
- Sie haben niedrigere Absprungraten
- Sie müssen weniger „nachbessern“
- Sie wirken moderner, professioneller und vertrauenswürdiger
Fakt ist: Barrierefreiheit ist gleichbedeutend mit nachhaltigem SEO – und eine Art „Qualitäts-Siegel“, das Google (und User) zu schätzen wissen.
Was du konkret tun kannst: Barrierefreiheit als SEO- & Marketing-Invest
Audits & Tests:
Nutze Tools wie:
- Google Lighthouse (integriert in Chrome DevTools)
- WAVE Accessibility Tool
- axe DevTools
- Accessibility Checker von Siteimprove
- BITV-Test-Kriterien für eine tiefergehende Prüfung (besonders im D-A-CH-Raum)
Technische To-dos:
- Nutze semantisches HTML (
<main>
,<nav>
,<article>
, etc.) - Verwende korrekt benannte Alt-Texte für Bilder
- Achte auf ausreichende Farbkontraste
- Mach alle Funktionen per Tastatur erreichbar
- Vermeide Inhalte, die nur via Maus oder Touch bedienbar sind
- Binde keine Texte als reine Bilder ein
- Gestalte Formulare logisch, mit Labels und Fehlermeldungen
Content-Tipps für bessere Accessibility UND SEO:
- Verwende sprechende Überschriften
- Strukturiere Inhalte in logischen Absätzen
- Vermeide „klick hier“ – schreibe „Jetzt Produktdetails lesen“
- Biete Transkripte für Videos an
- Nutze einfache Sprache, wenn es zum Kontext passt
- Unterteile lange Texte durch Zwischenüberschriften und Listen
Was noch oft vergessen wird – aber superwichtig ist
- PDFs barrierefrei machen – viele laden Infomaterial hoch, das für Screenreader unlesbar ist
- Kontrast im Fokus-Zustand (z. B. bei Formularfeldern) – häufig unsichtbar
- Einfache Navigation & Breadcrumbs – helfen nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Google
Und: Auch kognitive Barrieren sind relevant. Menschen mit ADHS, Lernbehinderung oder in Stresssituationen profitieren von klarer Sprache, konsistenter UI und logischer Menüführung.
Nicht „für Behinderte“, sondern für alle Menschen
Barrierefreiheit ist kein Nischenthema. Es ist ein Qualitätsversprechen – an alle Nutzer. Und es ist ein strategischer Vorteil im digitalen Wettbewerb. Wer heute barrierefrei denkt und handelt, positioniert sich zukunftssicher:
- rechtlich abgesichert
- SEO-technisch solide
- wirtschaftlich klug
- ethisch verantwortungsvoll
Denn am Ende geht es nicht darum, Inhalte trotz Einschränkungen nutzbar zu machen – sondern sie so zu gestalten, dass niemand ausgeschlossen wird.
▷ Mehr spannende Stories aus der Digitalwirtschaft in meinem Blog.
Quellen und weiterführende Informationen
- W3C – Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)
https://www.w3.org/WAI/WCAG21/quickref/
Offizielle Richtlinien für barrierefreies Webdesign – Grundlage vieler gesetzlicher Vorgaben. - Google Developers – Introduction to Accessibility
https://developers.google.com/web/fundamentals/accessibility
Googles eigene Dokumentation zur Bedeutung und Umsetzung von Barrierefreiheit im Web.