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Marcel Köhler

Barrierefreiheit im Web: Neues Web-Muss, alte SEO-Praxis

Für viele SEOs kommt die plötzliche Aufregung um barrierefreie Webseiten ein bisschen… verspätet. Wer sich in den letzten Jahren ernsthaft mit Google-Rankings beschäftigt hat, weiß: Barrierefreiheit war nie ein Add-on. Sie war immer Teil des großen Ganzen. Denn gute Suchmaschinenoptimierung ist nicht nur Keyword-Tetris – sie ist Qualitätskontrolle. Und die umfasst seit jeher: sauberen Code, starke Technik, klare Struktur – und eben: Zugänglichkeit für alle.

Insofern ist die aktuelle Dynamik rund um gesetzliche Vorgaben, neue Tools und Accessibility-Richtlinien für viele Online-Marketer und Tech-Teams vor allem eines: eine Bestätigung. Die Richtung stimmte. Wer früh auf UX, semantisches HTML, schnelle Ladezeiten und durchdachte Inhalte gesetzt hat, steht jetzt besser da als je zuvor. Barrierefreiheit ist kein neuer Trend – sie ist ein alter SEO-Grundsatz, der endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient.

Was bedeutet digitale Barrierefreiheit überhaupt?

Barrierefreiheit bedeutet, dass digitale Angebote – Websites, Apps, PDFs – für alle Menschen bedienbar sind. Auch für Menschen mit:

  • Sehbehinderungen oder Blindheit
  • motorischen Einschränkungen
  • kognitiven Beeinträchtigungen
  • Hörbehinderungen
  • altersbedingten Einschränkungen
  • …oder einfach einer schlechten Internetverbindung
  • Tastaturbedienbarkeit
  • gut sichtbare Fokuszustände
  • klare Kontraste
  • semantisch korrektes HTML
  • Alternativtexte für Bilder und Grafiken
  • einfache Sprache oder verständliche Strukturen
  • beschreibende Linktexte („Hier klicken“ war gestern)

Warum das plötzlich alle angeht – rechtlich, technisch, wirtschaftlich

Barrierefreiheit wird gesetzlich Pflicht – und zwar bald. Spätestens mit dem European Accessibility Act (EAA) wird es für viele Unternehmen ernst. Ab 28. Juni 2025 müssen u. a. Online-Shops, Banking-Portale, Reiseplattformen, eBooks und Ticketdienste barrierefrei sein – sonst drohen rechtliche Konsequenzen. Die Umsetzung orientiert sich an der internationalen Norm EN 301 549, die wiederum eng mit den WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) verzahnt ist.

Was das heißt: Unternehmen, die jetzt noch nicht damit begonnen haben, müssen 2024 aktiv werden, um nicht unter Zeitdruck zu geraten.

Barrierefreiheit ist mittlerweile ein fester Bestandteil im Google-Ökosystem:

  • Lighthouse-Tests bewerten Accessibility separat
  • Core Web Vitals begünstigen barrierefreie Designs (z. B. durch klare Layouts, kurze Ladezeiten)
  • Crawling & Indexing profitieren von semantischer Struktur und verständlichen Inhalten
  • Nutzerverhalten (UX-Signale) wie Bounce Rate oder Dwell Time verbessern sich durch barrierearme Gestaltung

Oder kurz gesagt: Barrierefreiheit wirkt sich auf Sichtbarkeit aus – direkt und indirekt.

Unternehmen profitieren wirtschaftlich – und zwar konkret

Barrierefreiheit ist kein Charity-Projekt – es ist ein Business Case:

  • 18 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Form von Behinderung
  • Hinzu kommen Millionen Menschen mit temporären Einschränkungen oder altersbedingtem Bedarf
  • Dazu: wachsende Bedeutung von Usability, mobile Nutzung, Multichannel-Verfügbarkeit

Wer seine Seite barrierefrei gestaltet, öffnet sich neuen Zielgruppen und reduziert Reibungsverluste im Verkaufsprozess. Und: Barrierefreiheit = bessere UX = höhere Conversion Rate.

Barrierefreie Webseiten: Der Leitfaden für Accessibility, Nutzerführung und Inklusion im Web: Ein wirklich hilfreiches Werk von Tobias Aubele & Detlef Girke erhältlich bei Amazon.

Barrierefreie Webseiten: Der Leitfaden für Accessibility, Nutzerführung und Inklusion im Web. Aktuell zum BFSG (Gebundene Ausgabe von Tobias Aubele) – ein sehr hilfreicher Leitfaden.

Unternehmen, die in den letzten Jahren auf klare Strukturen, semantisches HTML, performante Ladezeiten, Mobile First und gute UX gesetzt haben, haben damit unbewusst viele Accessibility-Anforderungen erfüllt.

Das zahlt sich jetzt aus:

  • Ihre Seiten ranken besser
  • Ihre Inhalte sind robuster gegenüber Google-Updates
  • Sie haben niedrigere Absprungraten
  • Sie müssen weniger „nachbessern“
  • Sie wirken moderner, professioneller und vertrauenswürdiger

Fakt ist: Barrierefreiheit ist gleichbedeutend mit nachhaltigem SEO – und eine Art „Qualitäts-Siegel“, das Google (und User) zu schätzen wissen.

Was du konkret tun kannst: Barrierefreiheit als SEO- & Marketing-Invest

Nutze Tools wie:

  • Google Lighthouse (integriert in Chrome DevTools)
  • WAVE Accessibility Tool
  • axe DevTools
  • Accessibility Checker von Siteimprove
  • BITV-Test-Kriterien für eine tiefergehende Prüfung (besonders im D-A-CH-Raum)
  • Nutze semantisches HTML (<main>, <nav>, <article>, etc.)
  • Verwende korrekt benannte Alt-Texte für Bilder
  • Achte auf ausreichende Farbkontraste
  • Mach alle Funktionen per Tastatur erreichbar
  • Vermeide Inhalte, die nur via Maus oder Touch bedienbar sind
  • Binde keine Texte als reine Bilder ein
  • Gestalte Formulare logisch, mit Labels und Fehlermeldungen
  • Verwende sprechende Überschriften
  • Strukturiere Inhalte in logischen Absätzen
  • Vermeide „klick hier“ – schreibe „Jetzt Produktdetails lesen“
  • Biete Transkripte für Videos an
  • Nutze einfache Sprache, wenn es zum Kontext passt
  • Unterteile lange Texte durch Zwischenüberschriften und Listen

Was noch oft vergessen wird – aber superwichtig ist

  • PDFs barrierefrei machen – viele laden Infomaterial hoch, das für Screenreader unlesbar ist
  • Kontrast im Fokus-Zustand (z. B. bei Formularfeldern) – häufig unsichtbar
  • Einfache Navigation & Breadcrumbs – helfen nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Google

Und: Auch kognitive Barrieren sind relevant. Menschen mit ADHS, Lernbehinderung oder in Stresssituationen profitieren von klarer Sprache, konsistenter UI und logischer Menüführung.

Barrierefreiheit ist kein Nischenthema. Es ist ein Qualitätsversprechen – an alle Nutzer. Und es ist ein strategischer Vorteil im digitalen Wettbewerb. Wer heute barrierefrei denkt und handelt, positioniert sich zukunftssicher:

  • rechtlich abgesichert
  • SEO-technisch solide
  • wirtschaftlich klug
  • ethisch verantwortungsvoll

Denn am Ende geht es nicht darum, Inhalte trotz Einschränkungen nutzbar zu machen – sondern sie so zu gestalten, dass niemand ausgeschlossen wird.

▷ Mehr spannende Stories aus der Digitalwirtschaft in meinem Blog.

Quellen und weiterführende Informationen

  1. W3C – Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)
    https://www.w3.org/WAI/WCAG21/quickref/
    Offizielle Richtlinien für barrierefreies Webdesign – Grundlage vieler gesetzlicher Vorgaben.
  2. Google Developers – Introduction to Accessibility
    https://developers.google.com/web/fundamentals/accessibility
    Googles eigene Dokumentation zur Bedeutung und Umsetzung von Barrierefreiheit im Web.