Immer mehr Webseiten verlieren drastisch an Sichtbarkeit – und das ausgerechnet durch Googles neue KI-Funktionen. Der einst verlässliche Partner für Traffic hat die Spielregeln geändert. Was ursprünglich als Hilfe für Nutzer gedacht war, wird für viele Website-Betreiber zur existenziellen Bedrohung.
Der große Knick: Wenn gute Inhalte nicht mehr reichen
Im März 2024 war Morgan McBride noch Teil einer Google-Werbekampagne, in der sie erzählte, wie die Suchmaschine beim Aufbau ihres DIY-Geschäfts geholfen hatte. Nur einen Monat später war der Traffic auf ihrer Website um über 70 Prozent eingebrochen. Der Grund: eine neue Funktion namens AI Overviews, die Informationen automatisiert zusammenfasst und direkt in den Suchergebnissen präsentiert – ohne dass Nutzer noch auf die Originalseiten klicken müssen.
Diese Entwicklung trifft vor allem kleine und mittelgroße Webseiten mit voller Wucht. Laut einem Bericht von Bloomberg, basierend auf Interviews mit über 25 Publishern und Daten der Analysefirma Similarweb, handelt es sich um einen historischen Einbruch der Sichtbarkeit.
Google antwortet selbst – mit fremden Inhalten
Die Einführung von AI Overviews stellt einen fundamentalen Wandel in der Websuche dar. Statt wie früher auf Webseiten zu verlinken, liefert Google immer häufiger fertige Antworten. Diese beruhen oft auf externen Inhalten – allerdings ohne echten Gegenwert für deren Urheber.
Besonders hart trifft es Nischenblogs in den Bereichen Reisen, Kochen oder Heimwerken. Die Inhalte dieser Seiten werden in den AI-Antworten zwar verwendet, bringen jedoch keinen Traffic mehr – und damit auch keine Werbeeinnahmen oder Affiliate-Umsätze.

Kaum Transparenz, kaum Mitspracherecht
Ein zentrales Problem liegt in der mangelnden Transparenz. Webseitenbetreiber wissen nicht, wann und wie ihre Inhalte von der KI verwendet werden. Sie erfahren nicht, ob ihr Content aktuell in einer KI-Zusammenfassung steckt, geschweige denn, in welchem Umfang.
Das Medienunternehmen Raptive aus New York schätzt, dass langfristig bis zu 25 Prozent des gesamten Website-Traffics durch AI Overviews verloren gehen könnten – und das sei noch optimistisch kalkuliert.
Google reagiert – aber ändert nichts
Im Oktober 2024 lud Google rund 20 Betreiber ins kalifornische Mountain View ein, um über die negativen Folgen der neuen KI-Funktionen zu sprechen. Das Fazit der Teilnehmer war ernüchternd: Google lobte die Inhalte, sprach Bedauern aus – ließ aber unmissverständlich durchblicken, dass sich an der strategischen Ausrichtung nichts ändern werde. „Die Suche ist jetzt eben anders“, hieß es.
Die Gewinner: Reddit, Wikipedia und Youtube
Während kleine Publisher verlieren, profitieren große Plattformen. Laut einer Analyse der SEO-Firma Brightedge gehören Wikipedia, Tripadvisor, Youtube und Reddit zu den größten Gewinnern der AI Overviews. Google selbst betont, Inhalte mit echter Expertise zu bevorzugen – die Realität zeigt jedoch: Oft gewinnen Seiten mit massenhaft Inhalten und hoher Domain-Autorität, während kleinere Anbieter auf der Strecke bleiben.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: KI-generierte Spam-Seiten, die professionellen Inhalten optisch ähneln, drängen sich ebenfalls in die Sichtbarkeit. Für Nutzer schwer unterscheidbar, für Publisher ein weiterer Schlag.
Neue Features verschärfen die Lage
Googles Vorstoß in die KI-Integration ist keineswegs auf die AI Overviews beschränkt. Auch andere Formate wie Rezept-Zusammenfassungen oder Kurzantworten direkt in der Suche werden getestet. In manchen Fällen zahlt Google dafür – doch laut Angaben von Raptive reichen diese Zahlungen bei weitem nicht aus, um den Verlust an Traffic zu kompensieren. So könnten Foodblogs in Zukunft bis zu 50 Prozent ihrer Besucher verlieren – bei gleichbleibendem Arbeitsaufwand.
„Verraten – das ist das Wort“
Besonders tragisch ist die Geschichte von Dave Bouskill und Debra Corbeil, die seit 2008 den Reiseblog The Planet D betrieben haben. Nach einem Einbruch ihres Traffics um 90 Prozent mussten sie Mitarbeiter entlassen und den Blog schließlich einstellen.
Ihr persönlicher Schmerz: Googles KI übernimmt sogar ihren kanadischen Slang in den automatisierten Antworten. „Ich fühle mich verraten“, sagt Bouskill. Corbeil ergänzt: „Verraten – das ist das Wort.“ Die beiden setzen nun auf Youtube – und damit auf ein weiteres Google-Produkt. Ob das langfristig funktioniert, ist unklar.
Was bedeutet das für die Zukunft des Webs?
Auch in Deutschland hängt ein großer Teil unabhängiger Webseiten an Googles Tropf. Werbetreibende, Affiliate-Partner, Produktempfehlungen – viele Geschäftsmodelle basieren auf organischem Traffic. Wenn dieser plötzlich wegbricht, geraten ganze Existenzen ins Wanken.
Es stellt sich eine grundlegende Frage: Wenn niemand mehr Inhalte erstellt, was zeigt Google dann überhaupt an? Das offene Web lebt von Vielfalt, Individualität und Unabhängigkeit. Wenn diese durch automatisierte KI-Antworten verdrängt werden, droht ein Verlust der digitalen Meinungsvielfalt – zugunsten weniger großer Plattformen.
Wandel in der Google-Suche ist nicht nur technisch, sondern strukturell
Wer heute online bestehen will, muss sich unabhängig von Suchmaschinen aufstellen – mit alternativen Kanälen, Community-Aufbau, direktem Newsletter-Marketing oder Plattformdiversifizierung. Die goldenen Zeiten des „Content is King“ scheinen vorbei. Jetzt gilt: Wer gesehen werden will, muss neue Wege gehen.
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Quellen und weiterführende Informationen
- Google Blog: Einführung der generativen KI in der Suche
https://blog.google/products/search/generative-ai-search-overview
(Offizieller Beitrag von Google über die Funktionsweise und Zielsetzung der AI Overviews) - Bloomberg: Google AI Answers Crush Web Traffic
https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-12-15
(Report über Traffic-Verluste bei Blogs in Reise, Food & DIY durch generative KI)